Inhalt und Bedeutung der Grenznutzentheorie

Die Grenznutzentheorie besagt, dass unser subjektives Wohlergehen (Nutzen) in immer geringerem Maße steigt, je mehr wir von einem Gut konsumieren. Das klingt zunächst plausibel. Schließlich werden wir immer satter, je mehr wir essen, sodass der zweite Burger weniger befriedigend ist, als der erste. Aber der Theorie zufolge sollte auch der tausendste Burger noch einen kleinen Nutzenzuwachs bedeuten, was natürlich unhaltbar ist. Zur Rechtfertigung dieser Theorie beruft sich die Volkswirtschaftslehre (VWL) auf den sogenannten homo oeconomicus.

Gegenstand der Theorie: Güter

Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass sich die Grenznutzentheorie nicht bedingungslos auf Burger, Wasser, Häuser, Kugelschreiber usw. bezieht. Sie bezieht sich nur insofern auf diese Dinge, als sie Güter sind. Was also macht die Dinge überhaupt zu Gütern?

Die objektiven Eigenschaften der Dinge können uns erklären, warum Menschen sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse heranziehen. Unabhängig von ihren objektiven Eigenschaften hängt das Wesen der Güter jedoch auch von einem subjektiven Fakt ab. Nämlich von unserem Willen, das in Frage stehende Ding auch wirklich zur Befriedigung unserer Bedürfnisse heranzuziehen.

Die wenigsten Menschen kennen zum Beispiel den Hintergrund, warum sie sich zur Feier Christi Geburt einen Baum in die Wohnung stellen und ihm Kerzen aufsetzen. Ausschlaggebend ist dennoch, dass sie genau das tun, sodass die entsprechenden Bäume Gegenstand ihrer Handlungen, und damit zu Gütern werden. Güter sind Dinge, die Menschen durch ihr Handeln oder Tätigsein in mittelhafte Beziehung zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse stellen.

Warum abnehmender Grenznutzen?

Darauf folgt das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen. Denn soweit wir Handlungen als Bewusstseinsakte zu verstehen haben, zielen sie immer auf die Befriedigung eines - wenn auch subjektiven - Bedürfnisses ab. Der Konsum des Gutes verursacht also eine Befriedigung des zugrundeliegenden Bedürfnisses. Hätte er unter dieser Bedingung also zwei Einheiten des Gutes anstatt nur einer Einheit, stünde der zweiten Einheit des Gutes ein nunmehr weniger dringendes Bedürfnis gegenüber, sodass der zusätzliche Nutzen der zweiten Einheit einen geringeren Nutzenzuwachs im Vergleich zur ersten bedeutet.

Die Grenznutzentheorie bezieht sich also nicht auf Dinge an sich, sondern auf Gegenstände unserer Handlungen. Gibt es kein Bedürfnis, hört die entsprechende Handlung auf und der Handlungsgegenstand, z.B. der Burger hört auf, ein Gut zu sein. Das “Wenn-Dann” der Grenznutzentheorie meint also nicht die sukzessive Konsumption derselben Sache wie zum Beispiel Burger oder Wasser. Das “Wenn-Dann” meint stattdessen den Handlungsakt, der die Dinge zu Gegenständen unserer Handlungen, und damit zu Gütern macht. Die Theorie verhält sich somit tautologisch zum Begriff des Gutes, der auf der Natur des Handelns als zweckgerichtetes Verhalten beruht.

Unser Handlungsvermögen als wissenschaftlicher Ausgangspunkt:

Dass wir ‘wollen können’ bzw. einen Willen haben, gilt unabhängig davon, ob unser Wille frei sei, oder ob unserem Bewusstsein in näherer oder fernerer Zukunft eine erschöpfende naturwissenschaftliche Begründung zugrundegelegt werden kann. Der berechtigte Stolz der Naturwissenschaften beruht darauf, dass sie materielle Befunde auf Kausalzusammenhänge hin untersuchen und dabei Zweckursachen gezielt außer Acht lassen. Dennoch bleibt Kausalität ein vernunftbedingter Begriff aus der Erkenntnistheorie, sodass es widersprüchlich wäre, die Wahrheit der Vernunft von einer naturwissenschaftlichen Begründung abhängig zu machen.

Ferner gestaltet sich der Begriff der Zweckursache als genauso vernunftbedingt wie der Begriff der Kausalität. In der Erkenntnistheorie geht mit der Vernunft auch der Begriff des Bewusstseins und des zweckgerichteten Verhaltens einher. Natürlich haben Zweckursachen damit immer noch nichts in den Naturwissenschaften verloren. Sofern einem Untersuchungsgegenstand aber Bewusstsein oder bewusstes Verhalten zuzuordnen ist, finden Zweckursachen einen legitimen wissenschaftlichen Anwendungsbereich wie zum Beispiel in den Geschichtswissenschaften, der Psychologie und der Ökonomie bzw. Volkswirtschaftslehre.

Die Grenznutzentheorie im Verhältnis zur Wirklichkeit:

Diese erkenntnistheoretische Bemerkung tut Not, weil der VWL oft vorgeworfen wird, von den materiellen Lebensbedingungen der Menschen zu abstrahieren und dadurch deren Wichtigkeit inhärent abzuwerten.

Die praktische Relevanz ökonomischer Theorien ist sicherlich eine empirische Frage und in diesem Sinne gegen andere, nicht-ökonomische Betrachtungsweisen abzuwägen. Aber der Vorwurf, dass die Abstraktion von nicht-ökonomischen Betrachtungsweisen gleichbedeutend mit deren Abwertung sei, ist nicht berechtigt: Weder ist die euklidische Geometrie eine Abwertung der praktischen Physik. Noch ist es die Aufgabe der Wissenschaft, uns zu sagen, was wir sollen oder wollen sollen, sondern lediglich, Zusammenhänge begründend zu erklären.

Fakt ist darüber hinaus, dass die Wirklichkeit u.a. durch subjektive Tatsachen bedingt ist und wir weder erkenntnistheoretisch noch wissenschaftlich dazu berechtigt sind, sie zu ignorieren. Die Untersuchung gesetzesmäßiger Zweckursachen durch die VWL stellt keine Abwertung anderer Zusammenhänge dar, sondern leistet wie alle Wissenschaften einen begrenzten Beitrag zur Erfassung der Wirklichkeit.

Dass z.B. der Konsum von 5 Litern Wasser innerhalb eines kurzes Zeitraums möglicherweise Übelkeit hervorruft, steht in keinerlei Widerspruch dazu, dass in den konkreten Handlungsakten eine - subjektiv - höchstmögliche Bedürfnisbefriedigung angestrebt wird, womit der zusätzliche Nutzen bei steigender Einheitenzahl des Gutes immer geringer wird.

Zugegeben: Die zweckursächliche Erklärung durch die Grenznutzentheorie scheint nicht besonders wichtig zu sein, um das Beispiel zu erklären, warum der zusätzliche Nutzen des vierten Glases Wasser geringer ist als der des dritten Glases. Viel offenkundiger ist der biologische Umstand, dass der menschliche Körper nur begrenzt viel Wasser aufnehmen kann. Bedeutet das, dass volkswirtschaftliche Theorie zwar ein nettes, umständliches Gedankenkonstrukt ist, aber für die Erfassung der Wirklichkeit nichts leistet, das auch von praktischem Interesse wäre?

Wir können hier nur jeden dazu ermuntern, dieser Frage selber auf den Grund zu gehen. Die Grenznutzentheorie ist nur die Spitze des Eisbergs der ökonomische Theorie. Das bekannteste volkswirtschaftliche Phänomen dürfte das Geld sein und es ist leicht ersichtlich, dass die Erklärung seiner Kaufkraft Fragen aufwirft, die andere Wissenschaften nicht zu stellen, geschweige denn zu beantworten vermögen. Wir bezweifeln sehr, dass die Verfassung unseres Geldes nur von theoretischem Interesse ist.

Empfehlungen

  • Die obige Darstellung der Grenznutzentheorie steht in der Tradition der sogenannten Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Als deren ältester Vertreter ist Carl Menger zu nennen, dessen “Grundsätze der Volkswirtschaftslehre” heute noch lesenswert ist!

  • Die erkenntnistheoretischen Anmerkungen stehen ebenfalls in der Tradition der Österreichischen Schule und beruhen auf Ludwig von Mises’ Arbeiten wie zum Beispiel der “Nationalökonomie. Theorie des Handelns und des Wirtschaftens”, “Theory and History” und “The Ultimate Foundation of Economic Science: An Essay on Method”.

Ich habe zu diesem Thema auch ein Video erstellt, dass man sich auf YouTube angucken kann. Das Video hat eine deutsche und englische Version:

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Gleichberechtigung und Integrität statt Ressentiment

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Sozialismus - ein weißes Blatt?